Montag, 31. Januar 2011

Studierende und Kunstmalende

Die schlimmsten Fehler sind derart blöd, daß sie kaum einer bemerkt, weshalb sie sich rasend schnell verbreiten.
Die Studenten sind innerhalb ganz kurzer Zeit so gut wie ausgestorben und mit ihnen die Studentinnen. Studenten traut sich keiner mehr zu sagen, wenn Studentinnen ebenfalls gemeint sind, und diejenigen, die sich Jahre, oft Jahrzehnte mit „Studentinnen und Studenten“ gequält haben, atmeten auf, als jemand – es muß ein Genie sondergleichen gewesen sein – den Einfall hatte, statt dessen Studierende zu benutzen.
Man wundert sich aber über den Mangel an Konsequenz. Warum spricht man immer noch vom Führer und nicht vom Führenden? Warum nicht statt Malerinnen und Maler Malende, statt Schwimmerinnen und Schwimmer Schwimmende, statt Sängerinnen und Sänger Singende, statt Fußballerinnen und Fußballer Fußballspielende oder Fußballende?
Allein, so sehr es den unter dem Zwang zu politisch korrektem Sprechen bitter leidenden zu gönnen wäre: Es wäre falsch, so wie Studierende falsch ist. Studierender bedeutet etwas ganz anderes als Student.
Das Partizip 1 ist eine Verlaufsform, man drückt mit ihm aus, daß etwas gerade jetzt geschieht. Man kann mit ihm nicht einen Dauerzustand bezeichnen und auch nicht z. B. einen durch eine typische Tätigkeit charakterisierten Beruf.
So wie ein Marathonläufer dann, wenn er sitzt, kein Laufender, sondern ein Sitzender ist, und zwar ein sitzender Läufer, so ist ein Student nur dann ein Studierender, wenn er studiert, nicht aber, wenn er schläft oder sich auf einer Party vergnügt, es sei denn, sein Vergnügen wäre mehr kontemplativer Art und bestünde beispielsweise darin, das Wesen der anwesenden Studentinnen zu studieren. Ein Professor war einst ein Student und ist jetzt keiner mehr, aber ein Studierender ist er immer noch, nämlich dann, wenn er sich einer seiner Dienstaufgaben, der Forschung, widmet. Im Englischen nennt man jemanden, der die Klimaerwärmung erforscht, einen „student of climatic warming“. Da wird unser Genie seinen Einfall herhaben: Der letzte Grund der Sprachrevolution ist ein Übersetzungsfehler. Allerdings  gab es einen Vorlauf im deutschen Universitätswesen, der wohl eine gewisse Aufnahmebereitschaft erzeugt hat: die „Lehrenden“.
Doch zweifellos reagiert man mit den Studierenden auf ein schwerwiegendes genderpolitisches, sprachästhetisches und -logisches Problem. Man hat nun einen Vorschlag gemacht – den Urheber konnte ich leider nicht herausfinden –, der zu allseitiger Zufriedenheit führen könnte: das Studi. Damit scheint mir auch der sozialpsychologische Habitus der derzeitigen Studentinnen und Studenten recht gut getroffen.


10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Passend zu "das Studi" ist dann "das Prof" und "das Wimi", also das wissenschaftliche Mitarbeiter und/oder Mitarbeiterin.

Anonym hat gesagt…

Das Blogposting gibt Regeln wieder und überträgt diese in heuritischer Weise auf andere Beispiele. Die sozialwissenschaftliche Betrachtungsweise legt eine vertiefte Perspektive vor, die nicht den Logiken grammatikalischer Axiome und Autoritäten folgt und dadurch nicht an der Oberfläche bleibt: Sollte der Ausdruck "Studierende" in einem kulturellen oder gesellschaftlichen Aushandlungsprozess Akzeptanz finden und sich in unserer Sprache reproduzieren, hat dieser durchaus seine Berechtigung und dann auch Richtigkeit. Er weicht dann lediglich von den bekannten Regeln ab, ist deshalb aber keine grammatikalische Idiotie.
Trotz der Kritik spannender Blog!

Ludwig Trepl hat gesagt…

Ja gewiß doch. Alles, was z. B. in Henscheids Dummdeutsch-Lexikon gesammelt ist, hat in einem kulturellen oder gesellschaftlichen Aushandlungsprozess Akzeptanz gefunden und sich in unserer Sprache reproduziert, und darum hat es seine Berechtigung und dann auch Richtigkeit. Trotzdem bleibt es Dummdeutsch. Die häufigen Fehler haben ebenfalls in einem Aushandlungsprozeß Akzeptanz gefunden usw., und trotzdem sind sie Fehler, nur eben häufige. So tief reicht offenbar die vertiefte Perspektive der sozialwissenschaftlichen Betrachtungsweise nun auch wieder nicht. - Man sollte Sozialwissenschaftler von Fragen fernhalten, an denen ihnen zwar irgendwelche Aspekte zugänglich sind, die sie aber als diese Fragen nun einmal nicht beantworten können. Das ist ähnlich wie mit den Chemikern und der Kunstkritik. Irgendwas können sie schon zu den Farben eines Gemäldes sagen, aber nicht zu dem Gemälde als Kunstwerk.

Anonym hat gesagt…

Nun, ganz richtig ist das aber nicht. Natürlich ist der genderpolitische Unfug mit "Studierenden" Schwachsinn, aber die "Fahrenden" ist eine Bezeichnung für umherziehende Menschen / Darsteller, und das obwohl diese nicht ständig fahren. Ja vielmehr laufen sie auch nur wenn sie "fahren".

Ludwig Trepl hat gesagt…

"Nun, ganz richtig ist das aber nicht...."

Doch, es ist schon richtig. Daß es z. B. „Lehrende und Lernende“ gibt („Fahrende“ dagegen knirscht zumindest, es gibt fahrendes Volk, aber Fahrende?) und daß man „allerbeste Glückwünsche“ sagen kann, berechtigt nicht dazu, auf die Sprachlogik keinerlei Rücksicht zu nehmen und aus Marathonläufern Marathonlaufende zu machen und optimal zu steigern. Wer heute Studierende sagt, wo Studenten gemeint sind, macht einen Fehler, denn sein Satz bedeutet etwas anderes, als er bedeuten sollte: Er redet Stuß.
Freilich können – und das geschieht sehr oft – Fehler eines Tages nicht mehr als solche empfunden werden, und zwar nicht von der Mehrheit, auf die kommt es hier nicht an, sondern von denen, die deutsch können; und dann sind es auch keine Fehler mehr. Das wird den Studierenden vermutlich auch passieren, aber noch sind wir nicht so weit. Siehe auch → Erhalt und Erhaltung Teil 2:
http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/03/erhalt-und-erhaltung-teil-2.html

Anonym hat gesagt…

In der Tat können Sich Begriffe für Personengruppen etablieren, die dieser Tätigkeit nicht unaufhörlich nachgehen. Beispiel ist der Begriff der Handelsreisenden, warum also nicht auch Studierende?

Ludwig Trepl hat gesagt…

Wie oft muß man das denn noch sagen: Natürlich kann sich "Studierende" etablieren, und vermutlich wird es sich etablieren. Aber so lange es nicht etabliert ist, ist es falsch. So wie "Hundertmeterlaufende" falsch ist, wenn Hundermeterläufer gemeint ist. Weil man dann nämlich etwas anderes sagt, als man sagen will: Man spricht über Hundermeterlaufende und nicht, wie man möchte, über Hundertmeterläufer (die z. B. gerade schlafen und dann keine Hundertmeterlaufende sind).
Jeder Fehler kann sich etablieren, sogar mir = mich, und oft findet man Präzedenzfälle, wie in unserem Fall Lehrende und Lernende und auch Handlungsreisende.

Anonym hat gesagt…

Und was ist nun mit dem Handelsreisenden? Auch falsch? Und der Vorstandsvorsitzende? Sitzt der die ganze Zeit vor nem Vorstand oder darf der auch mal aufstehen? Was Du hier schreibst macht doch keinen Sinn!

Ludwig Trepl hat gesagt…

"Und was ist nun mit dem Handelsreisenden? ... Was Du hier schreibst macht doch keinen Sinn!"
Einfach den Artikel noch mal lesen und meine Antworten auf die Kommentare, und dann noch mal überlegen, ob das, was ich schreibe, Sinn "macht". (Zu letzterem siehe http://deutsche-sprak.blogspot.com/2011/01/sinnmacher.html.)

Anonym hat gesagt…

"Allein, so sehr es den unter dem Zwang zu politisch korrektem Sprechen bitter leidenden zu gönnen wäre"... "Allein, so sehr es den leidenden..." Da schreibt man "Leidende" doch groß, oder?

Ansonsten gefällt mir der Artikel!