Freitag, 28. Januar 2011

Nervenbombe








Das Wort sexy wurde etwa vor einem halben Jahrhundert im Deutschen heimisch und anfangs hat es auch gute Dienste getan. Seit kurzem aber gerät es außer Kon­trolle. Abgesehen davon, daß es den gleichen Weg geht wie cool und, Wiktionary zufolge, auch cool bedeutet, also alles irgendwie für gut Befundene und nicht für schlecht, d. h. ungefähr die Hälfte von allem, was es überhaupt auf der Welt gibt – abgesehen davon also: „Sexy“ wird gesteigert. Nie hätte ich oder irgendein anderer früher geglaubt, daß das in der deutschen Sprache je der Fall sein könnte. Aber jetzt haben wir’s.
Doch nach wie vor scheint die große Mehrzahl der Menschen davor zurückzu­schrecken: Tippt man „sexy“ ein, findet Google an die 14 Millionen deutschsprachige Seiten, „sexyer“ aber ergibt nur die vergleichsweise mikroskopisch kleine Trefferzahl von 2.380 (Juni 2010). Was der Duden damit macht, habe ich nicht herauszufinden versucht. Aber andere einflußreiche Sprachverwalter haben schon zugegriffen. So­wohl Wiktionary als auch Canoonet zufolge steigert man sexy so: Komparativ: se­xyer, Superlativ: am sexysten. All der offensichtlich noch reichlich vorhandene Wi­derstandsgeist wird nichts nützen, die Bombe tickt und der Fall wird Schule machen:
„Nervy“ gab es bisher auf deutschsprachigen Internetseiten fast nur in Computer­übersetzungen: „Dieses Tutorial soll animieren eine Zeile Text und geben Sie es cool, dass nervy Blick“.[1] Jetzt, sehr selten, taucht es am untersten Rand der Sprach­kompetenz-Skala auf, den unsere Bildungsexperten so sorgenvoll betrachten und dabei derart unablässig fixieren, daß sie allmählich nervy werden: „da kommen se rein mit handyradio (hiphop *kotz*) und dann reden se noch in ihrem heavy-gangster-ghettho-slang voll fett krass abquatschen und in so ner nervy art...“.[2] In der Schweiz scheint sich ein Brückenkopf gebildet zu haben: „heiss ich hier nun nervy kurzform für nervensäge“, schreibt einer aus dem Aargau.[3] Und ein eidgenössisches „Member“ namens „southpaw“ schreibt über irgendwas: „Groovy und catchy, aber auch nervy...“.[4]
Der Anfang ist also auch hier gemacht, man kann hohe Summen darauf wetten, daß in zehn Jahren in der Boulevardpresse zu lesen sein wird: das nervyste Top-Model Deutschlands. Wahrscheinlicher aber: Germanys. Oder Germany’s.

Lange kann das nicht mehr so weitergehen.
Ich höre der Posaunen Ton / Und sehe den Gerichtstag schon (Simon Dach, 1648).


Keine Kommentare: