Freitag, 25. Februar 2011

Erweiterte Wertlehre

„Ich bin jetzt 43 Jahre, ich will von einem Mann geliebt werden, ich will Sex, befriedigenden Sex mit ihm haben, ich will ICH sein dürfen, ich will auch einen Mann so lieben und begehren – BEDINGUNGSLOSE WERTSCHÄTZUNG!!! Auch deshalb muss ich gehen, ich habe dich nie geliebt oder Wert geschätzt, so geliebt oder Wert geschätzt – wie es für eine BEDINGUNGSLOSE LIEBE sein muss.“ Das steht auf der Buchrückseite von „Die eigene Wahrheit ist schwer zu ertragen... (Taschenbuch) von Anna Kolinsky“.[1]
Sie hat ihn also nie geliebt, und Wert hat sie nie geschätzt. Was hat sie dann geschätzt? Befriedigenden Sex offenbar. Der kann also kein Wert sein, denn Wert hat sie ja gerade nicht geschätzt. Da würden ihr etliche beipflichten, z. B. manch ein katholischer Würdenträger. Sex, wenigstens zum Zwecke der Befriedigung von Gelüsten ausgeübter, im Unterschied zu dem um der Erzeugung von Nachwuchs willen pflichtgemäß vollzogenen, der manchen Menschen notgedrungen erlaubt werden muß – Sex also, würden sie sagen, ist kein Wert, darf für euch keiner sein, gehört insbesondere nicht zu den christlichen Werten, ist Teufelszeug, ist der Unwert schlechthin.
Leichter dürfte es sein, die folgende Frage eines Lebenshilfe-Anbieters (Rubin-Seminare) zu enträtseln: „Haben sie heute schon ihren Partner Wert geschätzt?“[2] Da scheint es sich lediglich um Tippfehler zu handeln. Es sollte „ihres Partners“ heißen. Dessen Wert zu schätzen ist nämlich sehr zu empfehlen, bevor man sich eines der sicher gar nicht so billigen Rubin-Seminare leistet. Vielleicht ist es ja besser, ihm gleich den Laufpaß zu geben, weil man ihn beim besten Willen einfach nicht wertschätzen kann.

„Wertschätzen“ ist übrigens, Detlef Guertler[3] zufolge, im Duden als „veraltend“ gekennzeichnet. Das werden die zitierten Autoren vielleicht gewußt haben, und da sie auf keinen Fall in den Geruch des Veraltendem kommen wollen, haben sie verzweifelt nach Ersatz gesucht.

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