Freitag, 27. Mai 2011

Von der Brüll- zur Hüpfsprache

Deutsch schreiben ist schwer, sprechen aber auch, vor allem für Rundfunksprecher. Ganz früher, bis in die ersten Nachkriegsjahre, brüllten sie. Jeder kennt das aus alten Wochenschaufilmen. Ich vermute, es kam daher, daß sie sich vorstellten, wie weit weg ihre Hörer sind, und da lag es nahe, die Lautstärke zu erhöhen. Das hilft, das wußten sie aus der Zeit, als die Sprache noch nicht durch den Äther übertragen werden konnte, und diese Zeit war ja noch nicht lang her. Dann aber, irgendwann in den 50er Jahren, begannen sie normal zu sprechen. Nicht nur, was die Lautstärke angeht: Sie betonten, was betont werden muß, hoben und senkten die Stimme da, wo der Sinn des Textes das verlangt. Es war ihr goldenes Zeitalter.
In den 80er Jahren war es vorbei. Zunächst in den Sendern, für die Harald Schmidt später den Begriff „Unterschichtfernsehen“ (siehe Umschichtungen) einführte und in entsprechenden Radiosendern setzte sich der merkwürdige Brauch durch, grundsätzlich ein Wort oder eine Silbe kurz vor dem Satzende zu betonen, an dieser Stelle fast so laut zu sprechen wie in der Brüllzeit bei jedem Wort: „Heute mittag ist Bundeskanzler Kohl in Begleitung seiner Frau Hannelore in Washington“ – kurze Pause – „EINgetroffen.“ Ich glaube mich zu erinnern, daß die entscheidende Pionierarbeit der berühmte dunkel-solariumbraune Sportreporter Gerd Rubenbauer leistete. Wenig später griff das über auf die Zugschaffner – man fing eben an, sie in „Kundenbetreuer“ umzubenennen –, wenn sie durch den Lautsprecher den „Kunden“ etwas bekanntgaben: „ … Bordrestaurant, wo Sie unsere freundlichen Mitarbeiter gerne be- DIEnen“.
Etwa um das Jahr 2000, vielleicht schon etwas früher, folgte die nächste Revolution. Sie begann, wenn ich mich richtig entsinne, mit dem Wetterbericht. Im Fernsehen war es schon vor geraumer Zeit üblich geworden, ihn nicht mehr von einem sitzenden Nachrichtensprecher verlesen zu lassen. Statt dessen hüpfte jemand – vermutlich ein abgebrochener Meteorologiestudent mit einem Schauspielkunst-Zusatzkurzstudium – wild gestikulierend vor einer Schautafel auf und ab, auf der ebenso wilde Wirbel sich vor Island drehten. Und diesem Hüpfen paßte sich nun die Sprache der Hüpfenden an. Sie betonten die Präpositionen und nichts anderes, egal wo im Satz sie gerade eingefügt waren. „Morgen wird es IN den Alpen kräftig schneien und AUF der Zugspitze ist mit orkanartigen Böen zu rechnen.“
Es dauerte nicht lange, da machten das die Sprecher in Funk und Fernsehen schlechthin nach, z. B. auf Bayern 4 Klassik: „AM morgigen Dienstagabend wird Lang Lang IN der Philharmonie am Gasteig ein Konzert geben. Tickets erhalten Sie IN allen Vorverkaufsstellen.“ Während bei den Wetterberichtsprechern keinerlei Sinn in der eigenartigen Weise des Betonens zu erkennen ist, ich sie mir nur als eine Nebenwirkung der Hüpfbewegungen, die ohnehin stattfinden, erklären kann, ist es bei den Konzertansagern anders: Sie sind fürsorglich und geben uns zu verstehen, daß Lang Lang eben IN der Philharmonie auftritt, damit nicht jemand hinter, vor oder neben dieser auf den Weltstar wartet. Die Betonung ist also wieder, wie in jener goldenen Zeit, dem Sinn der Rede angemessen. Es hat sich alles wieder zum Guten gewendet. Das wiederum läßt hoffen, daß es doch einen Sinn in der Geschichte geben könnte und sämtliche Miesmacher seit Nietzsche sich irren.

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