Freitag, 20. Mai 2011

Wirtschaftsweise

Weise pflegten die letzten zweieinhalb Jahrtausende hindurch Sätze zu sagen wie diese: „Ich weiß, daß ich nichts weiß“, „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ oder auch, nur scheinbar schlichter, „Geh mir aus der Sonne“. Nun haben die Journalisten die Wirtschaftsweisen erfunden und von denen hört man z. B. folgendes: „Schmidt“ – das ist so einer – „befürchtete außerdem, wenn der Staat einen Eingriff in die Realwirtschaft vornehme, ‚der sich nicht wirklich absolut rechtfertigen lässt’ ....“.[1]
Sich mit dem Absoluten und dem Wirklichen und mit der Rechtfertigungslehre zu befassen hat unter Weisen Tradition. Jenseits des Absoluten ein noch Höheres, das wirklich Absolute, zu entdecken ist aber bisher keinem gelungen und man mag es auch dem Weisen Schmidt nicht glauben.
Die Sache klärt sich so, daß die Wirtschaftsweisen gar keine Weisen sind, ja daß selten die völlige Verkehrung einer Wortbedeutung so gründlich gelungen ist wie in diesem Fall.
Weisheit ist, schreibt Kant, „theoretisch betrachtet, die Erkenntnis des höchsten Guts“.[2] Eben, werden unsere Verkehrer sagen, um genau das zu erkennen halten wir uns doch unsere Wirtschaftsweisen. Den Weisen macht aber nicht nur aus, daß er eine etwas andere Meinung als die Wirtschaftsfachjournalisten dazu hat, worin dieses Gut besteht, sondern auch, daß er sich um die Würdigkeit, dieses Guts teilhaftig zu werden, bemüht.
Zur Kernkompetenz – was das genau ist, weiß ich nicht, aber die reden halt so – unserer Wirtschaftsweisen gehört das ganz und gar nicht. Ihr Metier fällt vielmehr in das Feld der der Weisheit ganz entgegengesetzten Klugheit. Diese teilt sich in Weltklugheit“ und „Privatklugheit“. Weltklugheit besteht in der „Geschicklichkeit eines Menschen, auf andere Einfluß zu haben, um sie zu seinen Absichten zu gebrauchen.“ Privatklugheit besteht in der „Einsicht, alle diese Absichten zu seinem eigenen [dauernden] Vorteil zu vereinigen“.[3] Unsere Wirtschaftsweisen haben eine sehr dezidierte Meinung davon, wo das höchste Gut sich anhäufen sollte – nicht unbedingt alles in der eigenen Tasche, aber doch in den Taschen der Klasse derer, von denen sie ausgehalten werden. Privatklug sind sie also irgendwie schon, aber doch nicht ganz  egoistisch. Wirtschaftsprivatkollektivkluge wäre darum eine angemessene Bezeichnung, wenn es nicht so umständlich wäre.
Außer den Wirtschaftsweisen, die in Wirklichkeit keine sind, gibt es heutzutage Fußballweise. Ein solcher ist nach bild.de Paul Breitner, aber eigentlich hat nur Sepp Maier, dem wir hier demnächst einige Zeilen widmen müssen, diesen Titel verdient. Er scheint mir zudem die Weisheit sehr gut mit der Privatklugheit in Einklang zu bringen.




[1] http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/934463/
[2] Kritik der praktischen Vernunft, in Kapitel V Das Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft.
[3] Grundlagen zur Metaphysik der Sitten, Fußnote im zweiten Abschnitt (Übergang...).

Keine Kommentare: