Sonntag, 18. September 2011

Sprach-Supergau und Sprachterrorismus

Beim Lesen der Seiten von http://twitter.com/Phrasenpranger habe ich mich oft gefragt, ob es die dort versammelten Phrasen und Stilblüten wirklich gibt oder ob die Autoren sie sich ausgedacht haben, und wenn es sie gibt: ob sie Teil der geschriebenen Sprache sind oder ob sie nur mal so dahingesagt werden. Ich wollte mit Klarheit verschaffen und habe nach „Qualität hat seinen Preis" mit Google gesucht – ein Satz, bei dem ich sehr im Zweifel war, ob ihn je einer zu Papier oder in eine Datei gebracht hat.
Ich erhielt 157.000 Ergebnisse, "Qualität hat ihren Preis" ergab ziemlich genau die gleiche Trefferzahl (162.000).[1] Nie hätte ich das  für möglich gehalten. Den Supergau haben wir nicht vor uns, wir sind schon mitten drin. Die Sprachkompetenz bröckelt nicht nur an den Rändern, der Kern ist bereits geschmolzen.
Oder erklärt sich die Sache ganz anders? Seit Jahren plagt uns die zwanghafte „Geschlechtergerechtigkeit“ vor allem in der Medien- und Politikersprache einschließlich des Jargons der Amateurpolitiker, wenigstens der mehr oder weniger linken (im wirklichen Leben ist diese Gerechtigkeit um einiges seltener). Politiker, so scheint es, bauen Wörter wie Steuerzahler oder Castrop-Rauxeler nur deshalb in ihre Reden ein, weil sie ihnen die Gelegenheit geben, Steuerzahler und Steuerzahlerinnen oder Castrop-Rauxeler und Castrop-Rauxelerinnen zu sagen. Dagegen regt sich jetzt Widerstand. Eine Bewegung kündigt sich an, die den Wohlklang der Sprache verteidigen will. Leider mit allen Mitteln. Alles Weibliche wird eliminiert. Man tut, was vor Jahren die radikalsten Feministinnen taten, nur umgekehrt. „Heilerde hat seinen Preis“ gibt es inzwischen auch schon, wer weiß, was noch alles.
Das Ergebnis des Kampfes ist, wie man sieht, schlimmer als das, was die Kämpfer bekämpfen. Man möchte sie Sprach-Terroristen nennen. Terroristen pflegen mit allen Mitteln für das Gute zu kämpfen, mit verheerenden Folgen.



[1] Am 30.3.2011. Sätze wie „der/das X der Qualität hat seinen Preis“ waren selten, die Trefferzahl trifft's also wirklich einigermaßen.

6 Kommentare:

Michael Allers hat gesagt…

Ihre Beobachtung deckt sich mit meiner: Das Genus wird bei Possessivpronomen zunehmend ignoriert. Weitere Beispiele:

"Das Bemerkenswerte an der Turingmaschine ist sein Sprachumfang ..."
"Schließlich ist die größte Stadt der USA nicht zuletzt für seine eindrucksvolle Skyline bekannt."
"Die Bundesregierung verteidigte seine Sparpolitik."

Ihre Schlussfolgerung (Super-GAU, Akronym, ~gau ist was anderes) teile ich erneut nicht. Ich denke, dies ist keine Gegenbewegung zur Political Correctness, sondern eher der Anfang vom Ende des hochgradig überflüssigen und unnötig komplizierten dt. Genus-Systems.

Ich lese "seine" in solchen Zusammenhängen nicht als maskuline, sondern als neutrale Form ('Das Ding hat seinen Preis'), analog zum englischen 'its' - ein Anglizismus, wenn Sie so wollen.

Bei den Anglos funktioniert die grammatische Neutralität von Sachen und Abstrakta seit Jahrhunderten hervorragend - warum nicht auch bei uns? Beweisen lässt sich das allerdings genausowenig wie Ihre Einschätzung.

Ludwig Trepl hat gesagt…

"Ich denke, dies ist keine Gegenbewegung zur Political Correctness, sondern eher der Anfang vom Ende des hochgradig überflüssigen und unnötig komplizierten dt. Genus-Systems."
Sie sind einfach ein unverbesserlicher Optimist. Sie sollten eine Partei gründen, ich glaube, Sie träfen auf eine Marktlücke.

Michael Allers hat gesagt…

"Sie sind einfach ein unverbesserlicher Optimist."

Danke für das Kompliment. Ich mag halt nicht nur die Sprache, sondern auch die positive Lebenseinstellung der Amerikaner.

Zur Gründung einer entspr. Partei fehlt allerdings selbst mir der nötige Optimismus. Marktlücke? Ja. Aber positive thinking ist nun mal in der deutschen Mentalität nicht implementiert. Wo es keine Probleme gibt, erfindet man eben welche, z.B. den "Sprach-Supergau". ;)

Ludwig Trepl hat gesagt…

Nachtrag zu
"Ich lese "seine" in solchen Zusammenhängen nicht als maskuline, sondern als neutrale Form ('Das Ding hat seinen Preis'), analog zum englischen 'its' - ein Anglizismus, wenn Sie so wollen."

Das kann man aber nicht so lesen, weil z.B. "die Bundesregierung" kein Neutrum ist. - Was Sie wollen, war im Deutschen früher verbreitet und ist es in manchen Dialekten, etwa meinem, immer noch:
z.B. hieß es, wenn sowohl Ehemann als auch Ehefrau zum Familieneinkommen beitrugen, nicht , wie heute, "jeder trug bei", sondern "jedes trug bei". Also nicht unbedingt ein Anglizismus.

Michael Allers hat gesagt…

"Das kann man aber nicht so lesen, weil z.B. "die Bundesregierung" kein Neutrum ist."

Ein Maskulinum aber auch nicht. Es geht doch gerade darum, dss willkürliche grammatische Geschlecht (m/w) von Substantiven auszublenden.
Ihr 'Jedes'-Beispiel zeigt diese Neutralisierung sehr schön. Wenn es noch nicht einmal Anglizismus ist, spricht umso weniger dagegen.

Ludwig Trepl hat gesagt…

Ich bin mir da nicht sicher, ob das grammatische Geschlecht wirklich willkürlich ist. Da hat man doch nicht gewürfelt. In den meisten Fällen dürfte es eine Verbindung mit dem biologischen Geschlecht oder dem "sozialen Geschlecht" geben, und das heißt wiederum in den meisten Fällen: es steckt eine Diskriminierung des Weiblichen drin. Der Adler - die Gans. Wie es bei "Regierung" ist? Da sollten sich die Linguisten mal dransetzen.
"Beweisen lässt sich das allerdings genausowenig wie Ihre Einschätzung." Wenn man einmal davon absieht, daß sich in den empirischen Wissenschaften bekanntlich gar nichts beweisen läßt, sondern den Begriff Beweis im alltagssprachlichen Sinn nimmt: warum nicht? Meine Einschätzung - das mit der Revolte gegen den Feminismus ist natürlich nicht ernst gemeint -, also daß es an der allgemein zunehmenden Debilität liegt, kann man ja durch sorgfältige Beobachtung seiner selbst und seiner Umgebung zu überprüfen versuchen und das Ergebnis dann zur Diskussion stellen, d.h. vor allem andere Fragen, ob ihre Beobachtungen dem entsprechen. So ("phänomenologisch") funktioniert es mit dem "Beweisen" auf Gebieten, die mit dem "Leben" zu tun haben, meistens.